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Barrieren

Das Wort Schriftgut steht dunkelblau auf weißem Grund. Es ist beschriftet mit Angaben, wie die einzelen Schriftmerkmale ausgemessen werden - z.B. Schriftgröße, Zeichenabstand, Schriftweite, Oberlängen.
Abb.: www.leserlich.info Website des DBSV (Hg.) zu inklusivem Kommunikationsdesign © adlerschmidt

Barrieren.

Zu meiner persönlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Barrieren und Inklusion bin ich zunächst aus ganz egoistischen Gründen gekommen, nicht weil ich so ein bewusster, solidarischer Mensch bin, der sich für Gleichberechtigung und Teilhabe einsetzt (das bin ich inzwischen hoffentlich auch mehr geworden).

 

Je länger ich fotografiere, desto mehr entstand das Bedürfnis bei mir, unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Gesichter und Körper abzubilden.

Ich bin als Fotografin noch und immer wieder neu im Werden und auf der Suche nach meinen Themen, meiner Haltung, meiner Aussage, meinem Beitrag, meiner Herangehensweise. Aus einer Mischung von Ernüchterung, Langeweile und Empörung entstand das Bedürfnis, aktiv nach dem suchen und zu zeigen, was mir bislang fehlt - Vielfalt. Von mir selbst ausgehend - als Frau in den Wechseljahren, die immer faltiger, grauer und bauchiger wird - gab es z.B. das Bedürfnis, ältere Frauen(-körper) liebevoll und wertschätzend sichtbar zu machen. Von da aus weitete sich wie von selbst die Sehnsucht dahin, auch Menschen mit sichtbaren und unsichtbaren Behinderungen, mit Krankheit, mit Narben auf (meinen) Bildern sehen zu wollen.

 

Dann dachte ich: wenn ich als Fotografin Menschen mit Einschränkungen explizit einladen und sie abbilden will, dann brauche ich auch einen Raum, der für diejenigen, die einen Rollstuhl benutzen, schwellenlos zugänglich ist. Meine Suche nach einem solchen Raum, war ein winziger Einblick, wie extrem wenige stufenlos zugängliche (Miet- und Gewerbe) Räume es gibt. Ich hatte damals bereits zwei Räume an der Hand - einer ist ein kleines, freundliches Yogastudio. Es hat eine Stufe am Eingang. Dafür hätte ich notfalls noch eine Rampe bauen oder besorgen können, sogar die Eingangstür wäre breit genug für einen Rollstuhl. Aber die Toiletten dort sind nur über enge kleine Treppen zugänglich. Ich habe auch Zugang zu einem großen Mietstudio. Es liegt im oberen Bereich eines Gewerbekomplexes. Im Studio gibt es zwar eine stufenlos zugängliche Toilette, aber diese hat eine viel zu schmale Tür. Außerdem sind die Rampen zur oberen Ebene der Gebäudeanlage vom Studio meilenweit entfernt und es gibt sonst nur einen abgerockten Lastenaufzug.

 

Ich begab mich also auf die Suche. Dabei fiel mir in vielen Gesprächen mit potentiellen Vermieter*innen auf, dass die meisten Leute - so wie ich bis dahin ehrlicher gesagt ja auch - überhaupt nie darüber nachdenken, ob (ihre) Räume barrierefrei sind.

 

Zu fast allen Räumen, in denen ich mich bewege (Wohnungen, Cafes, Kultureinrichtungen etc.), haben Menschen, die einen Rollstuhl nutzen, keinen Zugang. Deshalb sehe ich dort natürlich auch keine Menschen im Rollstuhl. Und wenn ich keine sehe, denke ich nicht an sie und ich denke auch nicht drüber nach, WARUM sie dort nicht sind. Und ich stelle mir auch nicht die Frage, wie sich das ändern kann, was ich ändern kann.

So funktionieren Privilegien: man hat sie, sieht sie aber nicht - und stellt sie auch nicht in Frage.

Ausschluss produziert Unsichtbarkeit. Unsichtbarkeit produziert Ausschluss.

 

Ich habe schließlich einen Raum gefunden, der stufenlos zugänglich ist und eine Toilette hat, die behindertengerecht ist.
Kleiner Spaß am Rande: die Bauaufsicht hat die Genossenschaft, der diese Räume gehören, dazu verpflichtet, eine schwere Feuerschutztür mit einem automatischen Türschließer vor den Toiletten anzubringen. Diese Stahltür lässt sich als Rollifahrer*in bestimmt super öffnen.
Aber immerhin. Ich kann Leuten diese Tür aufmachen/aufhalten und es gibt dann dort eine Toilette für sie. Es gibt dort allerdings keine Blindenleitsysteme wie Riffeln im Boden zur Orientierung mit dem Langstock. Das Haus nutzt auch keine klaren, gut kontrastierten Informationen und Wegeleitsysteme - es fehlt dort generell eine Beschilderung, so dass eine Orientierung auch für Menschen ohne Seheinschränkungen nicht sehr komfortabel ist. Also hole ich Menschen ggf. am Eingang ab.

 

Dass ich nach langer Suche einen Raum gefunden hatte, hat mich richtig froh gemacht.

Dann dachte ich, hmm. Es ist super, dass ich diesen barrierefrei zugänglichen Ort gefunden habe. Jetzt kann ich Rollifahrer*innen - z.B.  als Teilnehmer*innen bei meinen Fotoprojekten oder als Kund*innen - einladen. Ich muss das aber auch irgendwie kommunizieren. Vielleicht könnte ich das Rolli-Logo auf meine Webseite setzen als Signal. Aber warum soll bzw. will mich eigentlich „nurfür die Menschen, die einen Rollstuhl benutzen, öffnen? Was ist mit Menschen, die schwerhörig/gehörlos, blind/sehbehindert sind, was ist mit Menschen, die unsichtbare Behinderungen und Krankheiten haben? Was ist mit neurodiversen, also z.B. hochsensiblen oder autistischen/AHDS Menschen? Was ist mit Menschen, deren Körper und Gesichter nicht den engen, stereotypen gesellschaftlichen Normen und Schönheitsvorstellungen entsprechen? Und: wenn ich all diese Menschen auch einlade, was muss ich dann umgekehrt auch bieten, wahr machen, ernst nehmen? Was muss ich ändern - an mir, meiner Haltung und meiner Arbeitsweise?

 

Ich bin eine Einzelperson, ich habe wenig Ressourcen räumlich und finanziell. Ich kann aber zumindest meinen Kopf aufmachen. Ich kann nachdenken, mich informieren. Ich kann wenigstens meine Webseite, meinen Instagram-Auftritt, meine Werbeflyer barrierefrei oder zumindest möglichst barrierearm gestalten. Es gibt ja inzwischen dazu zahlreiche Informationen und Hinweise (Links findest Du unten).

Bei manchem warf meine Entscheidung, meine Webseite möglichst barrierefrei zu gestalten, erst mal Probleme bzw. innere Konflikte auf. So hatte ich mich z.B. bei der Erstellung meiner Webseite vor einigen Jahren nach langem Überlegen für eine Schriftart entschieden, die ich richtig schön fand. Diese Typo ist aber leider nicht gut lesbar für Menschen mit Seheinschränkungen ist (dort sehen nämlich ein kleines L und ein großes i gleich aus). Ich liebte diese Schrift und konnte mich schwer davon trennen. Aber ich hatte mich nun mal entschieden, dass ich die Webseite barrierefrei machen will.  Schließlich fand ich eine ähnliche Typo, die mir inzwischen auch gut gefällt und die besser lesbar ist.

Ich hatte meine Seite auch in relativ kleinen Schriftgrößen gestaltet, weil ich das elegant fand. Nach dem ersten Hader (och Menno, warum ist denn das jetzt auch wieder nicht barrierefrei?!) dachte ich mir, was soll der Hype um schickes Design, wenn es nicht gut lesbar ist? Die größere Schrift ist auch für Menschen ohne Sehbehinderung angenehm. Ich fand also neue Kombinationen und kleine Kompromisse, mit denen ich gut leben kann.  Andere Aspekte einer barrierefreien Gestaltung bringen mir mehrfachen Nutzen – wenn ich Bildbeschreibungen in die Alternativtexte schreibe, ist das nicht nur hilfreich für Menschen, die einen Screenreader nutzen, sondern es verbessert auch gleichzeitig meine Auffindbarkeit bei Google.

 

Meine Alternativtexte sind stilistisch definitiv ausbaufähig. Für mich ist es aber auch jedes Mal eine interessante Frage, was von dem vielen, was ich auf meinen Bildern zeige und selber sehe, dann im zeichen-begrenzten Alternativtext stehen soll. Was ist wichtig? Wie kann ich das mit wenigen, einfachen Worten beschreiben?

 

Die Auseinandersetzung mit den Alternativtexten hat auch mein Bemühen um eine einfache Sprache mit kurzen Sätzen nochmal bestärkt. Ich habe auch vorher schon vermieden, Bandwurmsätze zu formulieren und versucht, möglichst wenig Fremdwörter zu nutzen.

 

Ich gebe zu: die Umstellung meiner kompletten Webseite (die ich zum Glück selbst gestalte und verwalte) war eine echte Fleißarbeit.
Nachdem ich alles einmal umgepflügt und verändert habe, geht jetzt für mich vieles einfacher und wird langsam zur Routine.

 

Barrierefreiheit ist nach wie vor in den meisten Kontexten einfach kein Thema. Neulich habe ich eine Weiterbildung über Suchmaschinen-Optimierung besucht. Dort ging es z.B. bei Fotos ausschließlich darum, wie man die Alternativtexte hinter Fotos dazu nutzen kann, wichtige Schlagwörter für Google zusätzlich in die Seite zu mogeln (so entstehen natürlich keine Bildbeschreibungen).

Aber es gibt auch positive Überraschungen – so „outete“ sich eine Teilnehmerin in einem anderen Seminar als Legasthenikerin und freute sich, dass außer ihr noch ein weiterer Mensch im Kurs das Thema Barrierefreiheit wichtig findet. Sie gab mir übrigens einen wichtigen Hinweis auf etwas, der Dir vielleicht beim Lesen meiner Seite schon aufgefallen ist: die Hervorhebung der wichtigsten Worte durch Fettdruck macht es für Legastheniker*innen deutlich leichter, Sätze und deren Inhalte zu erfassen.  Auch diese Maßnahme widerstrebte meinem Stilempfinden zunächst sehr. Und auch hier dachte ich irgendwann: was soll der ganze Bohei um das perfekte Layout und Design, wenn es dann nicht für alle Menschen zugänglich ist?

 

Ehrlich gesagt, ich habe immer noch das Gefühl, erst am Anfang davon zu sein, etwas viel Größeres zu verstehen und zu verinnerlichen. Ich glaube, es geht um viel mehr, als mich persönlich nun für Schriftart A oder B zu entscheiden. Manchmal denke ich, ich bin nur so ein kleines Fitzifutzi, was da ein bißchen rumzappelt und halt tut, was ich mit meinen Mitteln kann. Manchmal hab ich Angst, dass ich das vielleicht gar nicht ganz richtig mache. Oft ist da das Gefühl, immer noch viel zu wenig zu wissen und viel zu wenig Ahnung zu haben. Aber dann sage ich mir: ich lerne einfach immer weiter dazu.

 

Links:

 

https://www.leserlich.info/

Info-Seiten vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband

 

https://barrierefreies.design/barrierefreiheit-interaktiv-testen/checkliste-fur-barrierefreies-webdesign

Checkliste zur Barrierefreiheit der eigenen Webseite von der Web-Agentur Pepper

 

https://www.aktion-mensch.de/inklusion/barrierefreiheit/barrierefreie-website

Informationen der Aktion Mensch zur barrierefreien Gestaltung von Webseiten