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Stoff und Papier

Detailaufnahme eines altmodischen Baumwollkleids mit einer Spitzenborte. Das Kleid hat rote und schwarze Farbflecken. Der Saum ist an einer Stelle aufgerissen, so dass man durch das entstandene Loch sieht.

Stoff und Papier.

Die Hamburger Künstlerin Evelin Marin habe ich kennengelernt, als ich mit zu einer Vernissage von ihr ging, bei der meine Freundin Musik machte.
In einem großen Raum nahe des Hamburger Michels waren riesige Stahlgestelle aufgebaut, in denen lange helle Skulpturen hingen, die an weiße Kleider erinnerten, aber gleichzeitig aus unzähligen Reliefs bestanden. Bei einer der Skulpturen stapelten sich lauter Hände übereinander, bei einer anderen waren die Abdrücke unzähliger Barbiepuppen übereinander geschichtet.

 

Außen an den Wänden des Raumes gab es kleine Lichtkästen mit übereinander liegenden, transparenten Schwarzweißfotos von Menschen.
Manche der Fotos wirkten durch die Anordnung der Personen und der Kleidung, die sie trugen, so vertraut, als hätte ich das Familienalbum bei meiner Tante aufgeschlagen.

 

Eigentlich hatte ich die Kamera dabei, um ein paar Fotos von meiner Freundin während ihres Auftritts zu machen.
Dann aber inspirierten mich die hängenden Skulpturen mit ihren unerwarteten Durchlässen und Blicköffnungen dazu, die ganze Vernissage zu dokumentieren und mit den ausgestellten Objekten auch auf meinen eigenen Fotos zu spielen.

 

Am Ende der Vernissage stellte meine Freundin mich Evelin Marin vor und ich sagte zu, ihr die Fotos der Vernissage zu schicken.


Aus diesem ersten Kontakt ergab sich dann die Idee, ich könne ja mal unverbindlich zu Besuch in ihr Atelier zu kommen.
Es würde eine erste Annäherung zwischen uns sein.
Evelin wollte überprüfen, wie meine Anwesenheit mit der Kamera in der Hand in ihrem Atelier sich anfühlt.
Ich wollte ausprobieren, ob ich Evelin und ihre Arbeit ohne klassische Portraitaufnahmen sichtbar machen kann.

 

Ein paar Wochen später besuchte ich sie dann tatsächlich in ihrem Atelier.

In einem großen lichtdurchfluteten Raum standen mehrere geräumige Arbeitstische.
Es war voll und leer zugleich, es war üppig und reduziert zugleich.
Evelin hatte für unseren Besuch verschiedene Materialien und Techniken, die sie nutzt, vorbereitet, um mir ihre Arbeit zeigen zu können.

 

Ich sah mit der Kamera dabei zu,, wie sie auf Büropapier gedruckte Schwarzweissfotos mit heißem Wachs bestrich, so dass sie transparent wurden. Ich sah, wie sie die Bilder zerriss, zernähte und in anderen Anordnungen wieder übereinander und zusammen setzte.

Ich beobachtete ihre Arbeit mit alten Baumwollkleidern. Sie findet diese Kleider auf Flohmärkten, färbt und bemalt die Stoffe.
Später werden die Kleider in Stücke gerissen und neu formiert, aus Stoff-Fetzen entstehen neue kleidartige Gebilde.

 

Mir ist, als ob mit den Stoffstücken und Fotos auch Erinnerungsfetzen übereinander gelegt werden und neue Bilder ergeben.