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Bäuche

Eine ältere weiße Frau mit kurzen Haaren steht mit nacktem Oberkörper und rundem Bäuchlein im Bad. SIe macht ein Spiegelselfie in der Art von Schwangerschaftsfotos. Eine Hand auf ihren gewölbten Bauch gelegt und von oben sieht freundlich darauf.

Bäuche.

Nein, ich bin nicht schwanger. Ich habe einfach nur ein kleines, dickes Bäuchlein.

 

Vielleicht ist dieser kleine Bauch eine Folge meiner Wechseljahre.

Vielleicht ist er gewachsen, weil ich mit viel Genuss oder im Stress ordentlich gefuttert habe.

 

Als ich das erste Mal mit meinem ungewollt gewachsenen Bauch konfrontiert wurde, erinnerte er mich ein bisschen an ein Babybäuchlein.

Promis und Nicht-Promis machen ja gern so Spiegelselfies und posten ihren schwangeren Bauch auf Instagram.

So ein Foto hab ich dann einfach auch mal gemacht (den Post auf Insta allerdings nicht).

 

Ich habe mehrere Jahre in einem Allround-Fotostudio gearbeitet.

Aufwendige Babybauch-Fotografie ist schwer in Mode gekommen.
Die Ästethik bewegt sich zwischen Familienshooting, Aktfotografie und Bombast mit Abendkleid und in der Luft wallend-schwebender Schleppe.
Der möglichst schon maximal runde Babybauch wird im Studio aufwendig in Szene gesetzt.
Der Rest des Körpers soll aber trotzdem rank und schlank sein.

Da werden in der Postproduktion schon mal die Wasser-Einlagerungen in den Beinen wegretuschiert, damit diese dünner aussehen.

Auch Dehnungsstreifen sind mit ein paar Mausklicks verschwunden.

 

Es gibt viele Arten von Bäuchen.

Und doch ist der Babybauch der einzige, der gefeiert und begeistert inszeniert wird.

 

Mehrgewichtigkeit gilt als Makel, runde Körper gelten als prinzipiell veränderungs- und verbesserungsbedürftig.

In meiner Arbeit als Fotografin begegnet mir ständig diese destruktive Macht gesellschaftlicher Schönheitsnormen.

Sie ist in fast jeder Fotosession präsentmanchmal sogar, wenn ich nur ein Passfoto erstelle.

 

Fotografie ist ein wirkmächtiges Medium, sie hat die Autorität, uns zu sagen, "so ist es" und "so soll es sein".

Professionelle Fotos in ihrer Schärfe und hohen Auflösung sind ein gnadenloser Realitätscheck.

Man sieht sich viel größer und schärfer als im heimischen Badezimmerspiegel, das ist oft ein Schock.

 

Ich als Fotografin sehe vielleicht, dass das T-Shirt eine auffällige Falte oder einen Fleck hat.

Vor allem aber sehe ich, ob die Person vor der Kamera sich entspannt hat.

Ich sehe darauf, ob sie präsent ist und leuchtet - oder in einer Anspannung geblieben ist.

 

Die porträtierten Menschen dagegen checken Fotos als erstes darauf, wie sichtbar das ist, was an ihnen auszusetzen sein könnte (alt, müde, faltig, dick, Nase zu groß, Augen zu klein, Zähne zu gelb, Haare zu grau).

Den Glauben, dass wir selbst und unser eigener Körper nicht ok sind, haben die meisten Menschen tief verinnerlicht.
Diese vermeintliche Fehlerhaftigkeit und Unzulänglichkeit sind deshalb in meiner Arbeit als Fotografin ständig präsent.
Und dieser Schmerz berührt mich.

 

Ich befinde mich natürlich nicht außerhalb dieses Macht- und Verletzungs-Systems.

Ich behaupte auch nicht, völlig frei von einem bewertenden Blick auf Körper zu sein.

Gelernt ist gelernt - aber ich versuche, diese Sichtweise immer mehr zu ver-lernen.

 

In meinem Raum will ich Schmerz nicht reproduzieren.

Ich möchte andere Erfahrungen ermöglichen und Vielfalt lustvoll feiern.

Ich möchte Schönheit anders definieren und anders abbilden.

Ich möchte alle Arten von Schönheit einladen, sich bei mir zu zeigen.

 

Vielleicht könnte man meine Haltung mit dem Begriff Body-Positivity bezeichnen - für den eine gute deutsche Übersetzung fehlt.
Ich weiß, dass es Diskussionen gibt, ob "Positivity" der richtige Begriff ist, oder ob es eher um "Neutralität" gehen sollte.

Ich habe mich für den Begriff (körper-)positiv entschieden, weil ich Vielfalt feiere und sie nicht nur akzeptiere.

 

Und ich definiere für mich auch den Begriff der Schönheit radikal anders:

Radikale Schönheit wird für mich sichtbar, wenn sich Menschen angstlos zeigen - genau so unterschiedlich, schief, zart und großartig, wie sie sind.